Heute starte ich wieder deutlich früher und bin um halb 7 wieder im Dunkeln auf dem Camino unterwegs. Irgendwie ist mir heute deutlich unwohler zu Mute, als sonst. Ständig habe ich das Gefühl, komische Geräusche zu hören und nicht alleine zu sein. Vielleicht ist die Dunkelheit mit Schuld daran, denn der Mond ist heute von den Wolken verdeckt und so ist die Nacht nochmal ein Stückchen dunkler.
So gehe ich erst mal eine gute Stunde vor mich hin und genieße die Einsamkeit, die ich gestern vermisst habe. Plötzlich kommen mir sechs leuchtende Augen entgegen. Katzen werden das nicht sein, das passt von der Bewegung her nicht. Wildschweine? Hunde? Ich bleibe stehen. Und warte, was passiert. Die Augen kommen näher und ich höre ein hecheln. Es haben sich wohl die Nachbarshunde zum nächtlichen Streunen verabredet. Sie laufen dicht an mir vorbei und nehmen mich nur kurz wahr.
Ein paar Meter weiter treffe ich auf die nächsten Hunde, die sich schwanzwedelnd begrüßen. Heute scheint Tag der Hundetreffen zu sein.
Nach zweieinhalb Stunden mache ich meine Frühstückspause und danach wird es voll auf dem Camino. Sehr voll sogar. Es werden immer mehr Pilger, die mit kleinen Tagesrucksäcken unterwegs sind und der Weg leidet unter der Schar der Pilger. Nicht nur, dass ich viele Menschen vor und hinter mir habe, es laut wird und mein „Buen Camino“ nur noch von der Hälfte der Leute zur Kenntnis genommen oder gar beantwortet. Auch physisch leidet der Weg. Immer mehr Meilensteine sind verunstaltet. Die Muschelkacheln werden gestohlen und die Meilensteine werden mit allerlei nonsens bekritzelt.
Einige Pilger gehen den Weg nach Finisterra weiter, da es dort wieder so sein soll wie der Camino vor den letzten 150 km ist. Ich überlege stark, ob ich auch dazu gehören werde. Zeit dafür habe ich.
Die restlichen 7 km sind wieder sehr schmerzhaft für mich. Blasen bekomme ich keine neuen mehr, aber meine Fußsohlen schmerzen unter dem Gewicht, das sie tragen müssen. Heute ist mit 27 km die letzte lange Etappe. Morgen und übermorgen sind es jeweils nur noch rund 20 km. Ich freue mich schon, die Anderen wiederzusehen, denn ich glaube auch, dass mir die große Gruppe als Aufmunterung abends und tagsüber zur Motivation fehlt. Zumindest für einen Teil des Weges. Die Motivation für die ersten 15 – 20 km kann ich meist selbst aufbringen. Aber dann möchte ich meist nicht mehr weiterlaufen.
Schon gegen 12:15 Uhr komme ich heute in der Albergue an und setze mich in das Café daneben, wo ich eine Orangenlimonade trinke. Die Albergue öffnet um 13 Uhr und ich bin heute als Zweite dran, mein Bett zu bekommen. Natürlich oben… Aber der nette, kleine Italiener, der das Bett Nr. 1 bekommen hat, merkt, dass ich nicht zufrieden bin und bietet mir an zu tauschen. Ihm mache es nichts aus, oben zu schlafen. Ich willige dankend ein und gehe erstmal duschen. Mir ist kalt, denn die Dusche ist draußen. Aber glücklicherweise ist das Wasser schön warm. Als ich zurück ins 30-Betten-Zimmer (mein größter Schlafsaal bisher!) komme, ist auch Kathi angekommen und hat Bett Nr. 4. Wir machen erstmal Siesta und gehen danach ins Café, um ein bisschen Tagebuch zu schreiben.
Abends gibt’s zur Abwechslung mal Pommes und Salat für mich, da die Albergue zwar eine Küche, aber keine Kochausrüstung hat. Auch einen Supermarkt gibt es hier nicht. Lediglich die Herberge, die aus einzelnen Steinhäusern besteht und direkt an einem Bach liegt, eine Café, eine Pension und eine weitere Albergue. Der nächste Ort ist nochmal 2,5 km entfernt. Aber morgen kommen wir wieder in einer Albergue unter, die eine Küche hat und in einem Ort mit Supermarkt liegt. Kathi und ich planen Linsen- oder Bohnensuppe zu kochen, da haben wir Lust drauf.
Beim Essen genießen wir die Abendsonne und gehen recht früh schlafen. Ich will morgen wieder früh los.
Noch zwei Mal schlafen bis Santiago…
Alles Liebe