Schon beim Aufwachen merke ich, dass ich gestern über mein Limit gelaufen bin. Mein Knie schmerzt noch immer und die neuen Blasen tun auch sehr weh. Trotzdem habe ich keine andere Wahl: Immer weiter lautet die Devise. So machen Julia, Lara und ich uns gegen 7 auf den Weg. Der Weg geht dieses Mal an einer beleuchteten Straße entlang, unsere Stirnlampen brauchen wir also nicht.
Die ersten Kilometer sind schnell gelaufen und dann meldet sich mein Knie. Ich versuche es zu ignorieren, dann meldet sich die Blase, die in Winkel unter dem dicken Zeh durch die ständige Abrollbewegung keine Ruhe bekommt, gefolgt von den Fußballen, die plötzlich zu schreien scheinen: „Wir können das Gewicht nicht mehr tragen!“ Zwei Dörfer lassen wir hinter uns, um dann im dritten Dorf, nach 12 km eine Pause zu machen. Es ist eine ungeheizte Scheune, die alles andere als Erholung bei dem eisigen Wetter bietet. Es ist bewölkt, nieselt ab und zu und es ist gerade mal 7° C warm. Julia trinkt einen Kakao und ich bestelle ein Wasser, um endlich mal eine Magnesiumtablette zu nehmen, damit die Beinschmerzen verschwinden und der Muskelkater schneller heilt. Das Wasser ist zu allem Überfluss gekühlt. So machen wir also nach einer ganz kurzen Pause wieder auf und ich versuche wieder in Gang zu kommen. Man könnte meinen, ich würde im Notre-Dame die Glocken läuten, wie ich immer los humple. Ich vergleiche mich dann gerne mit einem Rasenmäher, an dessen Schnur ein paar hundert Mal gezogen werden muss, bis er wieder läuft.
Der Wind wird immer heftiger und es wird dadurch gefühlt immer kälter. Die Landschaft hat sich verändert. Von den gelben, dürren Stoppelfeldern kommend, bin ich jetzt in einer Heidelandschaft angekommen. Es wird bergig und die kleinen Kiefernwälder verströmen einen atemberaubenden Duft, der mich vorantreibt. In der Pause habe ich eine Schmerztablette genommen, damit ich einfacher vorankomme. Es scheint zu wirken. Im nächsten Dorf, nach weiteren 6 km machen wir eine Teepause. Die Stube ist gut beheizt und der Wirt guter Laune. Es wird der Soundtrack von Dirty Dancing gespielt und wir Schunkeln im Takt der Musik. Plötzlich tauchen auch Lara und kurze Zeit später Sam auf. Wir gehen zu viert weiter über den steinigen Weg immer weiter nach oben.
Der Wind schiebt uns immer wieder zur Seite und es wird anstrengend, dagegen zu halten. Wir legen ein Affentempo vor, um vor dem Regen in Foncebadón anzukommen. Und tatsächlich: Nur ein bisschen Nieselregen hat uns ein klein bisschen nass gemacht. Wir wollen in die Donativo, also eine Albergue auf Spendenbasis gehen. Diese öffnet aber erst in 1 1/2 Stunden. Und bei dieser Kälte zu warten, habe ich keine Lust. Ein paar entscheiden sich dann in die private Albergue zu gehen. Dort öffne ich die Tür und sehe schon das Feuer im Kamin. Hier bleibe ich, koste es, was es wolle! Und es kostet tatsächlich nicht wenig. Ich schlafe in einem 16-Bett-Zimmer. Das Bett kostet 8 € inklusive Frühstück. Dass ich nicht frühstücke, ist egal. Eine Küche gibt es hier leider auch nicht, dafür wird es Reis und Gemüse und diverse andere Leckereien zum Abendessen geben. Das kostet dann auch nochmal 9 €. Also bezahle ich die 17 € und gehe in eins der Zimmer, um mir ein Bett auszusuchen. Die unteren sind natürlich schon wieder alle belegt. Also schwinge ich meine Sachen auf ein oberes Bett und gehe erstmal heiß duschen.
Unten am Kamin warten schon Meike, Tine und Steffi. Sie sind auch aus Astorga hierher gelaufen und wärmen sich am Feuer auf. In der Albergue läuft Gitarrenmusik und das Ambiente ist der Hammer. Draußen stürmt es und ist sau-kalt, sodass es hier drinnen noch gemütlicher erscheint.
Mein Knie macht mir derweil richtig Probleme. Gestern habe ich eine Tube Voltaren gekauft und reibe das Knie damit erstmal ein. Morgen steht ein steiler, steiniger Abstieg an. Und das mit dem Knie. Ich weiß noch nicht, ob ich es soweit wie die Anderen schaffe… Wir werden sehen.
Den Rest des Abends sitzen wir nett beisammen und quatschen über dies und das. Zu essen gibt es Brot, Hummus und für die anderen Chorizo und Käse. Danach Reis, Grillgemüse und zum Nachtisch für mich einen Sojakakao. Ich bin im Himmel!
Die Nacht wird dank der Ohrstöpsel relativ ruhig, aber ich wache wegen meiner Blasen mehrmals auf. Ich bin gespannt, wie der morgige Tag mit seinen 26 km und 1000 Meter Abstieg werden.
Bis bald vom Camino!
Alles Liebe