Die Via Baltica – Von Nahe nach Fuhlsbüttel

Die Via Baltica – Von Nahe nach Fuhlsbüttel

Heute ist es wieder sonnig und warm. Die Schwalben kreisen direkt über den Feldern. Es ist so herrlich ihnen dabei zuzusehen!

Mein Tag fängt so an wie der gestrige aufgehört hat: mit einem langen, geraden Weg. Ich gehe direkt an der Straße entlang, nur eine Baumreihe trennt mich von den Autos. Und über all wohin ich schaue nichts als Felder, Wiesen und Äcker. Diese Strecke entlang zu fahren ist bestimmt schön. Gern hätte ich jetzt ein Fahrrad…

Gestern beim Essen habe ich noch die Etappen geplant. Heute soll es eigentlich nach Poppenbüttel gehen, weil dort ein Bahnhof ist, mit dem man bis nach Hamburg in die Innenstadt fahren kann um dort zu übernachten. Ich frage mich was das soll? Ich laufe doch nicht den Jakobsweg um dann mit der Bahn zu einem Schlafplatz zu fahren! Also entscheide ich mich gestern noch, dass ich heute bis nach Fuhlsbüttel laufen werde und rufe den dortigen Pastor an, der mir gerne eine Unterkunft bereitstellt. Die Etappe verlängert sich somit um 7,7 km, aber es geht nicht anders.

Nach der ewig, langen Straße biege ich endlich in einen Wald ab und gelange auf den Alsterwanderweg. Der Wald tut mir gut. Der Wechsel von auf und ab, links und rechts ist eine Wohltat für meinem verspannten Rücken und die Füße und es gibt viel zu gucken. Dann komme ich in einem Abschnitt vorbei, in dem Kiefern wachsen. Ich liebe diesen Geruch!

Nach 9 km mache ich meine erste Pause. Eine Frau kommt vorbei. „Schon wunde Füße?“ fragt sie. „Das bleibt bei den langen Strecken nicht aus“ sage ich. „Ach Sie pilgern? Ich bin ja auch schon bis nach Spanien gelaufen. Ich laufe jeden Tag bis dort drüben und wieder zurück. Sie müssen das nur zusammen zählen“. Ich lache höflich. Aber lustig finde ich es nicht. Ich brauche sicherlich keine Anerkennung für das was ich hier tue, aber Spott brauche ich auch nicht! Sie meint es sicherlich nicht böse, aber meine Mom lehrte mich schon: Der Ton macht die Musik!

Der Alsterwanderweg ist schön und führt, wie der Name schon sagt, an der Alster entlang. Auf dem Weg sehe ich ein bemalten Bauwagen und muss an Löwenzahn denken. Ich stimme das Lied an und singe zwei Strophen. Dann überlege ich, ob Peter Lustig noch lebt und nehme mir vor, es in der Pause zu googeln.

Dann wird mir langweilig und ich höre ein Hörbuch. Die zweite Pause mache ich kurz vor Poppenbüttel und diese ist überfällig. Mir tun die Füße weh. Ich habe zwar keine Blasen und kein Brennen, dafür aber schmerzende Fußsohlen durch das Gewicht, das ich trage. Die Schmerzen sind so stark, dass ich im Laufe des Tages noch eine dritte Pause einlegen muss.

Was mich schon seit zwei Tagen stört ist, dass mich hier keiner grüßt. Anfangs habe ich jeden, der mir entgegen kam gegrüßt. Ich wurde teilweise ungläubig angeguckt, mal angegrinst, selten zurück gegrüßt. Zuerst irritiert mich das. Dann hat es mich verärgert und zuletzt traurig gemacht. Eine unschöne Sitte hier im Norden.

Während der dritten Pause dieses Tages buche ich über Airbnb ein Zimmer für morgen in Blankenese. In großen Städten ist Airbnb immer eine wunderbare Möglichkeit, um günstige Zimmer zu buchen. Das habe ich auch schon in London und Freiburg gemacht.

Während ich weiter an der Alster entlang gehe, sehe ich wie die Kinder schwimmen und sich Erwachsene die Beine kühlen. Ich will auch! Aber wenn ich jetzt ins Wasser gehe, müsste ich meine Füße nachher wieder abtapen, um den Rest des Weges gehen zu können. Also verzichte ich.

Auf dem Weg kommt mir ein dicklicher Mann mit langem, rötlichen Bart und Glatze auf einem Fahrrad entgegen, der mich verblüffend an einen ehemaligen Chemielehrer in jungen Jahren erinnert. Er wünscht mir beim vorbeifahren ‚Buen Camino‘ und versöhnt mich so mit allen Norddeutschen. Ich freue mich sehr über diesen Gruß.

Es wird voller und auch lauter. Ich nähere mich der Stadt. An einer Brücke halte ich plötzlich und schaue auf mein Navi. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich müsste bald da sein. Und tatsächlich. Das Navi sagt, ich müsse über die Brücke gehen und in 850 m würde ich mein Ziel erreichen. Ein hoch auf meine Intuition!

Bei meiner Ankunft in der Marienkirche in Fuhlsbüttel empfängt mich die Dame freundlich aber distanziert. Sie zeigt mir mein Schlafzimmer, was im Keller liegt. Auf meine Frage hin, wo ich mich waschen könne, zeigt sie mir die Toilette. Das Waschbecken hat nicht mal ein Stöpsel, ich werde also keine Wäsche waschen können. Aber immerhin gibt es eine Küche, so dass ich etwas kochen kann. Die Unterkunft kostet fünf Euro und mehr würde ich auch nicht bezahlen.

Ich will mich als erstes waschen und begegne einer Frau auf dem Weg in den Keller, als ich meine Sachen holen will. „Sind Sie jetzt da drin?“ „Ja“, flöte ich. Und sie grummelt. ‚Na, die ist aber freundlich‘, denke ich mir.

Ich gehe also auf die Toilette, die ich nicht abschließen kann, knöpfe mir mein Hemd auf und will mich mit meinem Waschlappen waschen, als es an der Tür klopft. Ohne weiter zu warten tritt die unfreundliche Frau ein. „Damit müssen Sie rechnen! Wir haben den Chor hier und die laufen überall hin und her und ich muss auch jetzt ständig hier durch“ schnauzt sie mich an. „Was soll ich denn machen?“ frage ich. Eine Antwort bekomme ich nicht. Ich habe genug. Ziehe mir meine Sachen wieder an, bringe die Waschsachen ins Zimmer zurück und gehe erst mal einkaufen.

Als ich wieder zurückkomme, ist der Wachhund verschwunden und ich kann mir in Ruhe etwas zu Essen kochen.

Das Essen nehme ich draußen zu mir, aber an der Straße ist es mir zu laut. Daher rücke ich mir im Gebäude einen Stuhl und einen Tisch zurecht, an dem ich meine Notizen machen kann.

Plötzlich geht die Tür auf und es kommen Leute hinein. Damit hatte ich heute nicht mehr gerechnet. „Was machen Sie denn hier?“ fragt mich ein alter Mann. „Ich bin Pilgerin und übernachte heute hier“ antworte ich. „Och neee“ sagt er und geht. Im Nebenraum höre ich, wie sie über mich reden. „Jetzt ist auch noch ne Pilgerin da.“ – „Ach neee, so ein Mist! Kann die nicht noch spazieren gehen?“ Ich habe mich selten unwillkommener gefühlt.

‚Es sei Chorprobe‘, erklärt mir dann der ältere Mann. Und sie müssten bis 9:00 Uhr in meinem Raum. Mich stört das nicht, denn ich habe zu bloggen und mein ergattertes Franzbrötchen zu essen.

Um kurz nach 9 kann ich wieder ins Zimmer. Ich mache eine schnelle Katzenwäsche und beschließe meine Wäsche morgen zu waschen.

Obwohl ich heute 30,5 km gelaufen bin, fühle ich mich weniger steif als gestern. Ich glaube langsam gewöhne ich mich wieder an das pilgern. Bald bin ich müde und gehe ins Bett.

Alles Liebe

Rina

7 Kommentare

  1. Maria
    21. Juni 2017 / 1:44

    Liebe Rina, schön, dass du uns ein Stück mit nimmst, aber schade, dass du auf so wenig Freundlichkeit triffst. Ich bin damals mit meiner besten Freundin (und sie ist es immer noch, trotz vieler Unkereinen)von Assisi nach Rom gegangen und ich war froh, dass ich immer ein freundliches Wort und ein Lächeln geschenkt bekommen habe, wenn ich es brauchte. Wir sind oft nicht nebeneinander gegangen sondern im Abstand von ca. 100 Metern, weil wir auch die Ruhe genießen wollten, wir haben aber immer gemeinsam einen schönen Sonnenuntergang genießen können.
    Dein Blog macht mir wirklich Lust wieder auf Tour zu gehen. Da ich gesundheitlich nicht mehr so lange Strecken laufen kann, könnte ich mir gut vorstellen, die Tour mit dem ebike zu machen.
    Ich wünsche dir weiterhin wundervolle Eindrücke, erfrischende Erkenntnisse und freundliche Menschen. Liebe Grüsse maria

    • Rina
      Autor
      21. Juni 2017 / 6:01

      Liebe Maria,
      Diese Pilgerstrecke von Assisi nach Rom muss ich mir mal anschauen. Klingt interessant!
      Das mit dem E-Bike klingt doch nach einem guten Plan! Warst du schon auf den Camino Frances? Ich fand ich magisch und du könntest ihn auch radeln ?
      Liebe Grüße
      Rina

  2. Clara
    20. Juni 2017 / 23:36

    Liebe Rina, ich verfolge deinen BLog schon seit längerem und er gefällt mir sehr gut. Schade, dass du gleich so viele unfreundliche Begegnungen in Hamburg machen musstest. Ich lebe selber in Hamburg und liebe die Stadt und die Menschen. Allerdings unterscheidet sich die Freundlichkeit von Stadtteil zu Stadtteil sehr stark. Blankenese ist eben nicht die Schanze oder Eimsbüttel. Generell sind wir Nordlichter wohl etwas barscher, als unten im Süden. Aber wenn man uns richtig kennen lernt, strecken da wunderbare Menschen hinter. Ich wünsche dir für die Zukunft viele nette Begegnungen auf deiner Reise 🙂 Wenn du nächstes Mal in Hamburg bist schläfst du einfach auf meinem Sofa. P.S. Unser Bad kann man sogar abschließen 😉

    • Rina
      Autor
      21. Juni 2017 / 5:57

      Liebe Clara,
      Ich glaube nicht, dass alle Norddeutschen gemeine Menschen sind. Sie haben nur eine andere Art, die ich so nicht gewohnt bin. Ich glaube auch nicht, dass die Menschen die ich heute erlebt habe es böse gemeint hätten (außer die doofe Reinigungskraft in der Kirche, die war blöd).
      Auf das Angebot komme ich sehr gerne zurück ?. Auf Pilgerfahrt freut man sich tatsächlich über solch kleine Dinge wie eine Dusche, einen Stöpsel im Waschbecken und einen Schlüssel in der Badezimmertür ?
      Liebe Grüße
      Rina

  3. Lena W.
    20. Juni 2017 / 23:08

    Liebe Rina,

    lass dich nicht von den Leuten entmutigen und geh deinen Weg genauso weiter! Ich drücke dir die Daumen, dass die nächsten norddeutschen Erfahrungen positiver verlaufen.

    Genieß den Camino 🙂

    • Rina
      Autor
      21. Juni 2017 / 5:52

      Liebe Lena,
      Ich danke dir für deine lieben Worte! Morgen geht’s durch die Innenstadt, ich bin mal gespannt ?
      Liebe Grüße
      Rina

  4. Tina
    20. Juni 2017 / 22:26

    Danke für den schönen Bericht, auch wenn es für dich leider überwiegend negative Erfahrungen waren, die du beschreibst :(. Traurig, dass die Menschen sich so verhalten haben, im Grunde sind sie es die zu bemitleiden sind, da sie so negativ durch’s Leben gehen. Ich wünsche dir künftig mehr positive Begegnungen!
    Deinen Schreibstil finde ich ganz ganz toll – man kann richtig eintauchen in deine Berichte!
    Ich freue mich schon auf mehr 🙂
    Eine gute Zeit wünsche ich dir!

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